Freitag, 7. Dezember 2012

Hindenburg contra Brandt


Mit Spannung habe ich die Diskussion in meiner Heimatstadt Voerde um die Umbenennung der Hindenburgstraße verfolgt. Ich bin etwas enttäuscht, dass sie nicht „tiefer“ ging. Ich habe wahrgenommen, dass sich die Diskussion vor allem auf Paul von Hindenburg als Nationalisten und Wegbereiter Hitlers zuspitzte. Ich sehe mich sicher nicht als Freund der historischen Gestalt Hindenburg und als Kriegsdienstverweigerer sind mir seine militärischen Erfolge und seine militärische Laufbahn wirklich suspekt. Aber die Entscheidung, die Hindenburgstraße in Willy-Brandt-Straße umzubenennen, scheint mir auch keine Lösung zu sein, die einen gordischen Knoten elegant durchschlägt und der komplexen Lebensgeschichte beider Persönlichkeiten gerecht wird.
Dass die Münsteraner ihren Hindenburgplatz in Schloßplatz umbenennen, das kann ich noch gut verstehen. Wird so doch deutlich, dass die Stadt ein herrliches Schloß besitzt und dass hier nicht von einem Exerzierplatz preußischer Soldaten die Rede ist. Auch weiß jeder aus dem Monopoly-Spiel, dass ein Haus am Schloßplatz teurer sein muss als eines an der Schlesierstraße. Aber selbst die Sylter erreichen ihre Insel weiterhin über den Hindenburgdamm und wer kann schon die historische Tatsache verdrängen, dass der damalige Reichspräsident selbst diesen Damm eingeweiht hat. Aber, historische Tatsachen, das ist ein gutes Stichwort. Die Person Hindenburgs wird umstritten bleiben. Und das ist gut so!
Leider wissen viele Schüler heute nur noch wenig darüber, aber die Namen Hindenburg, Bismarck, Moltke hatten in den Jahrzehnten vor der Machtergreifung Hitlers einen besonderen Klang, der teilweise zum Mythos stilisiert wurde und bis zum heutigen Tag nachhallt. Heute sehen wir all das zu Recht kritisch, obwohl uns durch den zunehmenden zeitlichen Abstand geschichtliches Wissen und konkrete Erinnerung verloren geht. Aber, was wird eigentlich besser, wenn wir Hindenburg aus dem „Straßenbild“ tilgen? Wäre es nicht sinnvoll, sich mit seiner Persönlichkeit und mit seinen Leistungen und seinem Versagen auseinanderzusetzen? Ich kann mir vorstellen, dass es durchaus einen Erkenntnisgewinn bringen könnte, Hindenburgs Anteil an der Machtergreifung differenziert zu betrachten und auch sein „erstes Leben“ mit in den Blick zu nehmen. Vielleicht sind ja durchaus achtenswerte Verdienste darunter, die auch dann noch leuchten dürfen, wenn sein Versagen als „Steigbügelhalter Hitlers“ benannt wird. Einen "netten" Aspekt bringt Wikipedia und weist darauf hin, dass Paul von Hindenburg das einzige deutsche Staatsoberhaupt ist, das jemals vom Volk direkt gewählt wurde.
Möglicherweise hätte es ja auch eine andere, salomonische Lösung gegeben, indem man an die (wenigen) Straßenschilder die Ergänzung „Ulica Zabrze“ angeschraubt hätte, was in der Summe die Straße nicht nach Hindenburg selbst benannt hätte, sondern nach dem gleichnamigen Städtchen in Oberschlesien, mit dem unsere Stadt Voerde durch manche Bewohner durchaus mehr verbunden ist als mit dem Generalfeldmarschall. Und Hitler würde – wenn er es könnte – sich wegen der polnischen Namensergänzung sicher im Grabe umdrehen.
Sicher, Zabrze hat sich selbst auch 1915 den neuen Namen „Hindenburg“ gegeben, nach eben diesem Generalfeldmarschall. Aber zu dieser Zeit war der noch ein unumstrittener Volksheld und kein Greis, der den weltgeschichtlichen Fehler machte, Hitler alle Macht in die Hand zu geben und der sich für dessen Machtinteressen allzu widerstandslos gebrauchen ließ. Hindenburg selbst konnte dessen verbrecherische Potential allenfalls erahnen. Er stand im Krisenjahr 1932 in seinem 85. Lebensjahr. Mitte 1934 ist er gestorben. Die weiteren Folgen seiner Entscheidungen musste er nicht mehr miterleben.
Aber mal ehrlich! Im Leben eines jeden Menschen, erst recht eines Politikers gibt es reichlich Licht und reichlich Schatten. Wer möchte heute Martin Luthers Bedeutung wegen seiner Ausfälle gegen die Juden verneinen, welche Waldorfschule dürfte noch an Rudolf Steiner erinnern, wegen seiner rassistischen Überzeugungen und wer noch Richard Wagner hören oder spielen. Darf noch eine Straße nach von Moltke (dem Generalfeldmarschall) heißen oder gar nach einem der deutschen Kaiser, wenn wir nicht in der Lage sind, einen Menschen in all seiner Gebrochenheit zu sehen. Wenn wir unser christliches Erbe ernst nehmen, dann gibt es den Aspekt, dass Schuld klar benannt wird, aber auch Vergebung möglich sein muss. Aber Vergebung wäscht keine Biografie rein, dennoch ist ein Neuanfang möglich. Heute hat man den Eindruck, dass manche „Sünden“ nicht mehr vergeben werden und betroffene Prominente für immer in der Versenkung verschwinden. Allerdings – Vergebung setzt auch Einsicht und den Willen zur Umkehr voraus.
Keine Frage, es gibt Lebensläufe, da ist das Dunkel so groß und der Schatten so lang, dass sich jede Form von öffentlicher Achtung und Gedenken verbietet. Und die Überzeugung, dass dies nicht geht, kann auch im Laufe der Jahre noch nachträglich wachsen. Aber ist das bei Paul von Hindenburg wirklich der Fall?

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