Freitag, 8. November 2013

St. Martin zieht die Zügel an, sein Roß steht still beim LINKEN Mann...

Schon lange ist in Deutschland nicht mehr so engagiert über einen Vorschlag der Linkspartei gestritten worden, wie über die Idee des NRW-Vorsitzenden Rüdiger Sagel, den Martinszug ohne St. Martin als „Sonne, Mond- und Sternefest“ zu feiern. Natürlich nicht, weil man was gegen christliche Feste oder gar Heilige der Nächstenliebe habe (schließlich, so behauptet die Partei in einer nachgeschobenen Erklärung:  „Die Botschaft des katholischen Heiligen Martin, den Mantel zu teilen und den Armen zu helfen, ist auch ein zentraler Bestandteil unserer Politik. Kinder sollen auch weiterhin mit ihren Laternen bei den Martins-Umzügen ihre Freude haben.“).

Eigentlich käme die Geschichte des Hl. Martin der LINKEN doch sehr entgegen. Schließlich war Martin ein Migrant, ein Fremder, da wo er mit einem einheimischen Bettler seinen Mantel teilte. Martin war später Kriegsdienstverweigerer und Antimilitarist und zum Zeitpunkt der Mantelteilung sogar noch nicht getauft, also in gewissem Sinne noch „Heide“ (auch wenn er im Herzen schon von der Botschaft Jesu berührt war). 

Es mag unfair sein, aber bei einem „Sonne-, Mond- und Sternefest“ denke ich zuerst an die Schulchronik der Lohberger Marienschule; 1916 als katholische Schule für Bergarbeiterkinder gegründet. Seit ihrem Beginn war diese Chronik geprägt von christlichen Festen, doch 1933 schlichen sich mehr und mehr neue, weltliche Feste ein, wie z.B. Sonnenwendfeiern, bis schließlich der christliche Festkalender arg gerupft erschien. Das Martinsfest blieb, fiel nur ein oder zweimal wegen Bombengefahr aus. Allerdings führte man 1933 plötzlich „Hakenkreuzlaternen“ mit und der Hl. Martin wechselte die Mitra verschämt gegen einen Soldatenhelm. 

Sonne, Mond und Sterne als Inhalt eines Festes? Das klingt mir eher nach einem Rückfall in prähistorische Zeiten, wo die Verehrung der Himmelskörper eine hohe Bedeutung hatte, weil man in ihnen das Göttliche vermutete. Auf jeden Fall klingt es nicht nach Fortschritt und nach einer klaren Trennung von Kirche und Staat. Eher nach New Age und einer Neuauflage naturreligöser Vorstellungen. Vielleicht beten die Kinder linker Waldkindergärten demnächst ja die verbliebenen Baumriesen in unseren Wirtschaftswäldern an und spüren sich innig verbunden mit ihrer beschädigten Umwelt. 

Auch die „Andersgläubigen“, denen die LINKE ursprünglich entgegen kommen wollte, danken es nicht. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman A. Mazyek meinte, dass für Muslime der Bezug auf einen katholischen Heiligen gar kein Problem darstelle: „Das Leben des heiligen Martin ist doch geradezu vorbildlich, auch für Muslime.“
Und den Salafisten und Fundamentalisten unterschiedlicher religiöser Zuordnung, die sich gegen religiöse (christliche) Feste ereifern kann doch selbst die LINKE nicht die Stange halten wollen. Hier sind alle Bürger gefragt, gegen solche Intoleranz religiöse Traditionen und Überzeugungen zu verteidigen, selbst wenn man sie selbst nicht teilt. 

Gläubige Menschen haben in der Regel gar kein Problem, wenn Christen feiern und man fragt sich, warum die Linken mit Verweis auf „Andersgläubige“, Rücksicht auf etwas nehmen zu wollen, das von diesen kaum jemanden stört. Vermutlich hatte Herr Sagel daher eher die Leute im Blick, denen der Glaube und das Christentum ein Dorn im Auge sind, eben die kleinen Minderheiten, die sich an Kreuzen in öffentlichen Gebäuden und am Läuten der Kirchenglocken stören und die mit dem Ruf „Trennung von Kirche und Staat“ dagegen anklagen.
Im Grunde konnte man sich doch auch denken, dass es der LINKEN nicht um das Martinsfest an sich geht. Die Partei stammt doch aus einer Tradition, die religiöse Bindung immer schon als irgendwie „von gestern“ bzw. als Konkurrenz zur eigenen sozialistischen Ideologie angesehen hatte.
In der nachgereichten Presseerklärung wird ja auch klar, worum es ihnen wirklich geht: „Die Frage, wie eine Trennung von Kirche und Staat, insbesondere auch in Einrichtungen, die aus öffentlichen Geldern finanziert werden, realisiert wird, bleibt für mich auf der Tagesordnung."


Bei solchen Überlegungen frage ich mich, ob das nicht auf eine Diskriminierung von gläubigen Menschen hinausläuft. Wenn man Atheisten und Agnostikern eine Erziehung nach ihren Überzeugungen gewährt, warum müssen dann Katholiken und Evangelische (und Muslime) darauf verzichten. Müssen sie sich eine religionsneutrale Ideologie aufzwingen lassen? Steht nicht einem katholischen Kind eigentlich die gleiche (finanzielle) Unterstützung zu wie dem Kind eines Agnostikers oder sind Gläubige dem Staat weniger wert? De facto gibt Vater Staat ja für ein Kind in einer kommunalen Einrichtung viel mehr Geld aus als für ein Kind in einer katholischen Einrichtung, die von der Kirche mitfinanziert wird (Oft sogar über die offiziellen Kostenanteile hinaus). Zudem setzt die Kirche noch seelsorgliches Personal und Ehrenamtlicher in ihren Einrichtungen ein. Die Argumentation klingt oft so, als ob für die Versorgung katholischer Kinder mit Kindergartenplätzen am Besten allein die Kirche zuständig sei, während sich der Staat um all die kümmert, die für eine klare Trennung zur Religion eintreten. 
Hier scheint es einen klaren Denkfehler zu geben. Ich frage mich angesichts einer immer vielfältigeren KiTa-Landschaft, ob nicht den katholischen Kindern in Waldorfkindergärten oder in der kommunalen Kita in gleichem Maße eine seelsorgliche Betreuung zukommen müßte wie den Kindern in einer katholischen KiTa. Für viele Familien ist es doch heute gar nicht mehr möglich, ihr Kind zur Kath. KiTa zu bringen, da sie als Geringverdiener nicht über ein Auto verfügen können. Und diesen Kindern nun eine Sonne, Mond- und Sterne – Naturreligion aufzuzwingen - statt eines St. Martin, nur weil in jeder KiTa auch Kinder von Muslimen, Orthodoxen und Agnostikern sind? Das hieße ja letztlich, diesem Teil der deutschen Bevölkerung die Wurzeln zu kappen aus denen unsere Gesellschaft nach dem verheerenden Krieg wieder neu aufgestanden ist. 

Im WDR5 wies Dr. Dagmar Hänel, die Volkskundlerin des LVR zu Recht darauf hin, dass es beim Martinsbrauchtum nicht um Laternenumzüge und auch nicht um Sonne, Mond und Sterne geht, sondern um eine sehr menschliche Haltung im Zusammenleben, um das Teilen, um das Miteinander, um die Caritas, um Not sehen - und handeln. Sie verknüpfte in dem Radiogespräch alle christlichen Feste mit bestimmten Werten, die unser Zusammenleben prägen. An Weihnachten ginge es um Familie, an Ostern um den Umgang mit dem Tod und dem, was danach kommt. Als Theologe möchte ich dem nicht voll zustimmen, aber der Ansatz ist doch interessant. Werte, so sagte Frau Hänel, können nicht nur mündlich vermittelt werden. Die Werte, aus denen unsere Gesellschaft lebe und sich aufbaue, müssten auch sichtbar und erlebbar werden. Und dazu dienten die christlichen Feste eben auch. 

Mir ist das natürlich zu wenig. Schauen wir einmal ganz ehrlich auf das Martinsfest. Hier hat es ja immer schon große Veränderungen in der Festkultur gegeben (nicht nur in der Nazi-Zeit) und nicht nur in den letzten Jahren. Im 19. Jahrhundert war es schon einmal aus der Form geraten, so dass sich die kath. Kirche genötigt sah, die ausufernden Bräuche, die an Diebstahl und Besäufniss grenzten, pädagogisierend wieder einzufangen. So entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts die Martinszüge und das Martinsbrauchtum, wie wir es heute kennen. Dann setzten die Nazis dem Fest ihren Stempel auf und stilisierten den „Ungarn“ zum arischen Krieger. Etwas deformiert zog er nach dem Krieg weiter mit den Kindern durch die Straßen. 
Freudig reihten sich die Kinder türkischer Migranten später in diese Züge ein und entdeckten im katholischen Heiligen ihre religiösen Werte wieder und freuten sich mit ihren deutschen Schulkameraden am Leuchten der Laternen, am Martinsfeuer und an Süßigkeiten und Stutenkerlen. In Dinslaken – Lohberg habe ich einige Martinszüge mitgemacht, wo am Martinsfeuer nachher mehr Frauen mit als ohne Kopftücher zusammenstanden. 

Die LINKE, aber auch andere Impulsgeber nutzen heute eine gewisse Stimmungslage in der Bevölkerung aus, die immer kritischer auf „Die Kirche(n)“ blickt. Ganz bestimmt sind „wir“ daran nicht unschuldig, es hat eine ganze Reihe von Fehlern (und Verbrechen) in den letzten Jahren gegeben und oft auch eine mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsstrategie. Und es ist ja auch nicht zu übersehen, dass die Mehrheit der Deutschen, ja sogar die Mehrheit der Katholiken sich Schritt für Schritt von der Kirche verabschiedet hat und eine innere Distanzierung auch gegenüber kirchlichen Dogmen und christlicher Botschaft erfolgte. Vielen Menschen sind christliche Werte im praktischen Leben weniger bedeutsam geworden und religiöse Praxis bedeutet ihnen nicht mehr viel. Die Kirche hat dieser Entwicklung leider wenig entgegensetzen können und sich eher mit denen in eine Art religiöses Reservat zurückgezogen, bei denen die Verbindung auch vielerlei lebensgeschichtlichen und familiären Gründen noch lebendig geblieben ist. Heute fehlen ihr manche Voraussetzungen zur Kommunikation mit den Distanzierten und den Nichtglaubenden. Papst Franziskus beklagt das eindrucksvoll und zeigt durchaus Wege auf, wie Christen wieder „missionarischer“ werden können. 

Die kontroverse Debatte um die Martinstradition macht mir aber auch Mut. Es gibt durchaus noch Anknüpfungspunkte für die zentralen christlichen Botschaften. Wir sollten diese nutzen, auch wenn es uns nicht gelingt, die Menschen zu guten, papst- und kirchentreuen Katholiken zu machen. Es ist nicht nichts, wenn Mütter ihren Kindern den Hl. Martin als Vorbild vor Augen stellen und wenn Kinder spüren, das was Martin mit dem Bettler getan hat, das kann ich auch selbst tun (und wenn es nur mit der Tüte Gummibärchen ist, die mein Opa mir geschenkt hat). 

Wir schulden unserer Lebenswelt diese Basisbotschaften christlichen Glaubens. 

Und das ist es auch, was mir für die Zukunft Sorgen macht. Wir leben in einer Welt, wo die Mauern zwischen den Menschen immer höher wachsen... Was bringt die Menschen wieder zusammen? Was sorgt dafür, dass es Mitmenschlichkeit und Rücksichtnahme gibt? Was wird geschehen, wenn wir in Deutschland einmal wieder darauf angewiesen sind, dass da Leute sind, die uns aus der Not helfen?

Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten zugesehen und zugelassen, dass familiäre Bindungen schwächer wurden. Menschen sind immer mobiler geworden, oft wohnen und arbeiten Kinder weit entfernt von ihren Eltern. Nachbarschaften sind zerbröselt. Nur noch in Dörfern gibt es geregelte Systeme der gegenseitigen Hilfeleistung. Die „Kleinfamilie“ oder die Paarbeziehung ist bedeutsamer geworden, die Großfamilien, in denen Verbindungen über drei oder mehr Generationen hinweg gelebt wurden haben an Verbindlichkeit verloren. Wer kümmert sich heute noch um seine Großtanten und Urgroßonkel? Für kleine nachbarschaftliche Unterstützungsleistungen gibt es heute besondere Dienstleister – gegen Geld. Ein hoher Wert ist es für viele, „von niemand anders abhängig zu sein“. Und dank der Navigationsgeräte muss man nicht einmal mehr jemanden nach dem Weg fragen. 

Ich will nicht pessimistisch sein. Es gibt auch noch die andere Seite; Solidarität, Miteinander, Hähe, Aufopferung, Engagement. Aber niemand kann die Augen davor verschließen, dass die Betonung heute auf „Freiheit“, Eigenständigkeit, Egoismus, Selbstverwirklichung u.s.w. liegt, ohne daran zu denken, dass es eigentlich immer Begriffspaare sein müßten: Freiheit + Verantwortlichkeit, Selbstverwirklichung + Solidarität, Eigenständigkeit + Miteinander. 

Der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft aus Werten lebt, die nicht einfach so da sind. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Unsere Gesellschaft ist bis zum heutigen Tag auf christlichen Werten gegründet. Diese haben auch dann ihren Wert und ihren Bestand, wenn sich die Kirche unserer Tage (eigentlich ihr Garant) wenig überzeugend präsentiert. Offensichtlich wird sie aus der Perspektive vieler Menschen schlicht der allgemeinen „Obrigkeit“ zugeordnet und die hat schon mal per se einen schlechten Ruf, wie man an dem niedrigen sozialen Renommée von Politikern und anderen Institutionen deutlich erkennen kann. Auch hier hat das nicht immer mit konkretem Fehlverhalten und schlechten Leistungen zu tun. 

Ich sehe weit und breit keine Alternative zu einer Gesellschaftsordnung, die auf christlichen Werten gründet. Die philosophischen Entwürfe der Vergangenheit überzeugen nicht, im Gegenteil führten sie doch manches Mal direkt in den Abgrund, zu einem unmenschlichen Terrorregime. Lenin, Stalin, Ulbricht, Honecker und Mao haben die im Grunde durchaus menschenfreundlichen Gedanken von Marx und Engels auf alle Zeiten desavouiert. 

Aus dieser „Falle“ müssen wir uns befreien. Es muss wieder deutlich werden, dass Kirche nicht eine abgehobene „Obrigkeit“ ist, sondern Gottes Volk, Gemeinschaft von Menschen, die in den Spuren Jesu Christi und nach seinem Wort ihr Leben gestalten. Nicht nur die Hirten brauchen den Geruch der Schafe, wie der Papst es formuliert hat, sondern auch die normalen Katholiken müssen ihr Leben und ihren Glauben mitten unter den Menschen leben und als solche erkennbar, besser noch „erlebbar“ sein. Das schließt auch die Notwendigkeit ein, der Botschaft einen Vorrang zu geben vor dem Botschafter, der Mission und Verkündigung einen höheren Rang zu geben als einer Kirche von „schöner und edler Gestalt“.

Bei aller Fehlerhaftigkeit: Als Kirche, als Katholiken, als Nachfolger Christi schulden wir der Welt einfach die Botschaft des Glaubens. Wir müssen mit dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft die Welt, von der sie lebt als Schöpfung begreift, die es zu bewahren und zu gestalten gilt. Wir müssen mit dazu beitragen, dass die Mächtigen und Entscheidungsträger den unbedingten Wert menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Sterbebett achtet und dafür sorgt, dass ein menschenwürdiges Leben für jeden möglich ist. Wir können den Sonntag als Tag der Ruhe und Nachdenklichkeit fördern, wo der Mensch dankbar sein kann, für alles und jeden, ohne den und die sein Leben nicht möglich wäre. Wir können mithelfen, dass die Menschen spüren, dass Leben auch Verantwortlichkeit bedeutet. Es gibt also viel zu tun. Ein schön und würdig gestalteter Martinsumzug kann ein erster Schritt auf diesem Wege sein und Menschen im Herzen berühren. 

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