Sonntag, 6. September 2015

Gefährliche Bürger?

Als das Pegida – Phänomen aus dem „fernen Osten“ Dresdens langsam gen Westen wanderte, hatte ich zunächst noch die Deutung für möglich gehalten, hier seien besorgte Bürger auf die Straße gegangen: Menschen die Angst haben; die das ein oder andere Gespräch, das sonst unter Kumpels zu fortgeschrittener Stunde beim Stammtisch gesprochen wurde, nun einmal auf die Straße trügen. Im Grunde – dachte ich - seien die meisten Demonstranten normale Bürger, mit denen man das Gespräch suchen müsse. (Es waren ja auch wirklich solche darunter... )

Es kommt ja immer wieder einmal vor, dass sich ein Gespräch im Freundes- und Bekanntenkreis, in der Familie, an der Theke oder bei Veranstaltungen mit mehr oder weniger vertrauten Personen in eine Richtung entwickelt wo man allzu gern das Thema wechseln möchte. Besonders unbehaglich wird es, wenn es um „Muslime“ „Ausländer“ oder auch mal um Einzelaspekte der Nazizeit geht. Einfacher, aber in der inhaltlich Qualität nicht besser, finde ich Themen wie „die Politiker“ oder „die Kirche“. Da diese Leute in der Regel aber ein unbescholtenes und friedliches Leben führen und keinesfalls als radikale Agitatoren, wütende Steinewerfer oder ruppige Nachbarn auffallen, halte ich sie bis heute für eher harmlos. Zumal viele von ihnen durchaus mitfühlende und sozial aktive Menschen sind. 

Als ich mir das näher rückende Pegida – Phänomen genauer anschaute und Spaziergänge durch die sozialen Medien unternahm, war ich erschüttert, dass der Umgangston hier jede mit Unbehagen ertragene Stammtischdiskussion locker in den Schatten stellt... Da wird man beschimpft und bedroht für Sätze, die im persönlichen Gespräch eine Diskussion durchaus weiterführen. Offensichtlich stellt sich die „Szene“ anders dar, als es in Soundsoviel – Punkte – Erklärungen der X-gida von wo auch immer zu sein schien. Auf der Straße (habe ich mir auch angesehen!) offenbarten sich zahlreiche Pegida – Gesichter gerade nicht als besorgte Bürger sondern als menschenfeindliche Ideologen, denen es weniger um das christliche Abendland als um konkrete Fremdenfeindlichkeit und ihre persönlichen Besitzstände ging. „Mag die Welt draußen auch in Trümmer fallen – ziehen wir uns auf die selige Insel Deutschlands zurück, die dann möglichst auch noch von Arbeitsscheuen und Linkschaoten zu befreien ist..." Oder so... 

Die beiden Publizisten Liane Bednarz und Christoph Giesa haben offensichtlich ähnliche Erfahrungen gemacht und sich in dem Buch „Gefährliche Bürger“ mit den Phänomenen befasst. Ich habe das Buch heute morgen zu Ende gelesen und parallel die Rezenzionen in verschiedenen Medien wahrgenommen. Inzwischen verstehe ich auch, warum manche Rezensenten so schnell über ein Buch schreiben können, für dass ich etliche Tage benötige. Sie lesen es einfach nicht, sondern nehmen sich ein Kapitel oder eine Inhaltsübersicht vor und schreiben so ihre Rezension. Es kann sich ja eigentlich auch gar nicht lohnen, ein ganzes Buch zu lesen, für das der Zeitungsverlag letztlich einen kleinen Artikel honoriert. Natürlich gibt es Rezensionen unterschiedlicher „Tiefe“ und es gibt bestimmt auch berechtigte Anfragen an das Buch „Gefährliche“ Bürger. 

In der Tendenz möchte ich den beiden Autoren, deren Thesen ich zunächst für richtig, aber etwas überzogen eingeschätzt hatte, recht geben. Ein Kritiker schrieb in diesen Tagen einmal, dass die beiden das Phänomen durch das Internet völlig überschätzten. Die neurechte Szene greife mitnichten nach der Macht, sondern betreibe allenfalls Diskursinseln bei facebook und in unbedeutenden Blogs. Auch der FAZ-Kritiker Patrick Bahners schlägt in eine ähnliche Kerbe. Die im Buch beschriebenen Akteure und Allianzen seien im Grunde harmlos. Giesa und Bednarz betätigten sich als „digitale Bürgerwehr“ oder „Hilfsverfassungsschützer“. Warum es aber keinen Grund zur Sorge geben solle, das vermag auch Bahners nicht überzeugend darzulegen. Je mehr ich mir die Dinge anschaue, die auch über meine „Timeline“ schwappen, durch Menschen, die ich eigentlich als Personen schätze und achte, desto mehr beginne ich die Problemanzeige ernst zu nehmen.

Das, was „virtuell“ geschieht und anhand zahlreicher aktueller Beispiele von Giesa und Bednarz geschildert wird, manifestiert sich ja durchaus im wirklichen Leben. Schlimmer noch, es ermuntert Gewalttäter zu unsäglichen Taten und Schreibtischtäter zu unfassbaren Wortmeldungen in den Kommentarspalten von Onlinemedien. 

Da mag man die Schlussfolgerungen von Giesa / Bednarz für überzogen halten; die Problemanzeige bleibt jedoch berechtigt. Als praktizierender und kirchenliebender Katholik erschüttert mich, wie einige Personen auf das Buch und die Kritik an der Nähe zwischen bekennend konservativen Christen und „neurechten“ Gedanken und Akteuren reagieren. So stolperte ich gerade vor einigen Tagen über einen Post zum Buch: „Potzblitz! Da haben sich unsere Screenschützenkönigin und ihr mittlerweile in Ungnade gefallener Flintenspanner ja eine schallende Watschn abgeholt.“ Gemeint war Patrick Bahners Rezension in der FAZ vom 2.9.2015. Und abschließend hieß es: „Dem Hanser-Verlag muß es echt schlecht gehen...“ Die Kritik (auch schon vorher bezüglich eines KAS – Papiers über unheilige Allianzen von Liane Bednarz und Andreas Püttmann geäußert) bleibt erschreckend inhaltsarm und wird erschütternd persönlich. Bissige Bemerkungen über die Haarfarbe der Autorin und Kritik an deren „Kirchenbiografie“ waren da noch die harmloseren Versuche, die Kritik zu entwerten. Natürlich muss ich den Spiegel der mir vorgehalten wird nicht schön finden und erst recht nicht ein – möglicherweise verzerrtes – Spiegelbild. Aber auch ein Beichtspiegel beschreibt nicht meine konkreten Sünden, sondern er hilft mir Anknüpfungspunkte zu finden, wo ich gemeint sein könnte. 

Ich hatte mich auch zuvor schon gewundert, dass – ansonsten durchaus geschätzte – katholische Akteure plötzlich eigenartige Allianzen eingingen. Ein gutes Beispiel war der Umgang z.B. mit Dompropst Feldhoff anlässlich des Abschaltens der touristischen Außenbeleuchtung des Domes. Natürlich kann man das falsch finden, man muss dafür aber nicht in Priesterkleidung auf die Pegida – Bühne klettern oder auf der facebook – Seite des Erzbistums herumpöbeln, sondern kann seinen Widerspruch auch mit guten Argumenten und im angemessenen Ton dem Kölner Domkapitel mitteilen. Ähnlich erging es Kardinal Woelki anlässlich einiger klarer Worte. Feldhoff und Woelki sind ja im Grunde absolut unverdächtig ins „liberale Lager“ zu gehören, aber trotz aller bisherigen Verdienste wurden sie erst einmal munter verbal verprügelt. Es erstaunt wie schnell man doch zu „Wir sind Kirche“ abgeschoben wird, auch wenn man deren Thesen in keiner Weise teilt.

Ich kann verstehen, dass jemand, der namentlich in diesem Buch erwähnt wird, sich gegen eine Einordnung in die „rechte Ecke“ wehrt. Aber nicht von der Hand zu weisen ist doch, dass sich einige katholische Protagonisten verleiten lassen, die Hände von Verbündeten zu ergreifen, mit denen man im Grunde nichts gemein hat. Ich denke als Christen sollten diese Menschen, sollten wir genau hinschauen, was sich hinter vermeintlich verbindenden Schlagworten wirklich verbirgt. Wer einer „Ehe für alle“ skeptisch gegenüber steht, hat auch aus christlicher und dem Katechismus gegenüber verantwortlicher Haltung, genügend Argumente um keine Koalition mit Menschen eingehen zu müssen, die nicht gewillt sind Homosexuellen mit „Achtung, Mitleid und Takt“ zu begegnen. Und wem die Zuwanderung muslimischer Flüchtlinge und deren Integration Sorge bereitet, der braucht keine Zitate des ungarischen Regierungschefs zu teilen und diesen Herrn gegen die klaren biblischen Weisungen zum überzeugten Christen zu stilisieren. Wie viele Katholiken haben sich in den heißen Pegida – Zeiten über die Koalitionen von Antifa und Kirchengruppen bei den Gegendemos gewettert, ohne gleichermaßen die bei Pegida mitmarschierenden rechten Kameradschaften zu problematisieren. Lieber mit 50 Leuten in eine in Kleve zelebrierte tridentinische Messe gehen als mit 100 echten Rechten gegen die kurzzeitige Ausschaltung der Dombeleuchtung protestieren. 

Persönlich ist mir das Kapitel zu den „rechten Christen“ im Buch von Giesa / Bednarz aus drei Gründen zu dünn: 

Einmal kommt es all denen argumentativ zupasse, die das Christentum insgesamt ablehnen und sich für eine politische Marginalisierung des Christentums engagieren. Aber die Parallelität gewisser Kritik sollte uns nicht immunisieren gegen berechtigte Anfragen. Und erst recht nicht ermächtigen, gewisse Autoren aus der christlichen und brüderlichen wie schwesterlichen Solidarität auszuschließen. Die Häme gegen eine Mitchristin, die vielleicht einmal mit mir in derselben Kirche die Hl. Messe mitfeiert und aus demselben Ziborium den Leib des Herrn empfängt, ist schmerzhaft und eine Gewissenserforschung wert. 

Das wirft ein Schlaglicht auf die Frage, wo eigentlich die „rote Linie“ verläuft. Was ist schon „rechts“ und was ist noch „konservativ“ oder „kirchentreu“? Auf diese Frage versuchen Giesa und Bednarz ja eine Antwort und sie stellt sich sowohl für Katholiken, für Christen insgesamt aber auch für alle politisch engagierten Bürger. Um diese Frage kreist ja auch manche Kritik in der Debatte  um das Buch „Gefährliche Bürger“. Aber, müsste die Debatte nicht anders geführt werden? Sollte es nicht möglich sein, zunächst einmal zu sagen: Ja, in der Problemanzeige haben die beiden Autoren recht. Was folgern wir daraus? Die Antworten dürfen sicher vielfältig sein, aber es ist keine Hilfe das Buch zu verreißen und die Parole „Weiter so!“ auszugeben, als habe es die Anfragen nicht gegeben. In einzelnen Interpretationen kann man dem Autorenduo sicher widersprechen, als Beichtspiegel taugt es dennoch. Wo genau die rote Linie verläuft, das wird nur schwer zu klären sein. Vermutlich passt auch das klassische „links-rechts-Schema“ nicht mehr ganz. Vielleicht muss das auch dauerhaft offen bleiben und Gegenstand der weiteren Debatten. Aber solange die respektvolle Diskussion darüber möglich ist, ist auch die Unsicherheit über den Verlauf der roten Linie nicht ohne Wert. 

Was ich in dem Kapitel über „rechte Christen“ noch vermisse, ist eine tiefere Durchdringung der komplexen Szene. So fragt man sich, warum gewisse Strömungen innerhalb oder am Rande der FSSPX oder FSSP nicht auftauchen und deren Verwurzelung in antidemokratischen Netzwerken, vor allem in Frankreich und Amerika. Auch erscheinen mir einige andere Protagonisten und Foren der Tradiszene problematischer als die genannten Persönlichkeiten. Selbst Pastor Spätling ist eher ein Solitär und Sonderling als ein gut vernetzter Stratege. Aber vielleicht kam es den Autoren eher darauf an, den „Graubereich“ von Kontakten zwischen engagierten Christen und neurechten Denkern zu beleuchten, als das gesamte Feld auszuleuchten.

Eine vertiefte selbstkritische Beschäftigung mit den von Giesa und Bednarz beleuchteten Phänomenen erscheint mir auch vor dem Horizont lohnend, dass die neurechten Strategen ja durchaus in unserer Gesellschaft bestehende Probleme benennen, diese aber nutzen (und missbrauchen) für die Ausbreitung ihres Denkens. Das macht sie ja überhaupt erst anschlussfähig für die „Mitte“ der Gesellschaft, für einfache Menschen und verunsicherte „Bürgerliche“. Der Analyse eines Problems aus problematischer Feder mag man ja auch oft noch zustimmen. Ein Beispiel: Natürlich besteht das Risiko, dass sich unter den syrischen Flüchtlingen auch kriegsmüde Aktivisten der „Nusra-Front“ befinden, die ihre Radikalität gleich mit nach Deutschland bringen und eines Tages vielleicht in die hiesige salafistische Szene abgleiten. Aber die Antwort kann ja nicht sein, alle muslimische Flüchtlinge als Nachwuchs für die Salafistengruppen zu betrachten. Es kommt also darauf an, berechtigte Anfragen aufzunehmen und überzeugende Antworten zu geben. Es kommt auch darauf an, die wirkliche Dimension eines Problems zu benennen und dies weder zu verharmlosen noch zu dramatisieren. Aber wir müssen verhindern, dass falsche, menschenfeindliche und antichristliche Lösungsansätze zum Zuge kommen.

Ich denke, wer aufmerksam in die Welt schaut, der wird sehen, dass gewaltige Probleme auf uns zukommen. Ich hoffe sehr, dass die in Politik, Kirche, Journalismus, Wirtschaft und Gesellschaft verantwortlichen und bedeutsamen Personen klug und differenziert bleiben. Das Beispiel von Politikern wie Viktor Orbán oder Recep Tayyip Erdoğan sollte uns vor Augen führen, welchen Schaden der Populismus und die einseitige Ausrichtung auf eine bestimmte Definition von „Volkswohl“ anrichten können. Es kommen stürmische Zeiten und viele Herausforderungen, gerade für Menschen, die aus christlicher Motivation sich in Kirche und Welt engagieren. Allen Unkenrufen zum Trotz hat die Kirche und hat die Botschaft Jesu durchaus die Kraft unser Handeln und unser Europa zu prägen und humaner zu machen. 

„Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.“ Dieses Wort Jesu könnte uns motivieren, bei der Wahl unserer Partner ein wenig wählerisch zu sein.